Künstler und Kunstpädagoge Herwig Zens ist tot

NACHRUF
von Anna Pritz

There’s a crack in everything – that’s how the light gets in … (Leonard Cohen)

Dieses launige Zitat stand auf einer der letzten Neujahrskarten, die ich von Herwig Zens bekam. Wer Zens kannte, kam in den Genuss seiner postalischen Allgegenwärtigkeit. Herwig Zens dachte aufmerksam an jene, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet haben: Aus dem Nichts kamen Katalogbilder, Schnipsel aus Zeitungen und Postkarten mit persönlichem Bezug zum_r Adressaten_in. Botschaften aus dem Off. Stets mahnend, stets umherstreifend, stets erneut zusammendenkend, was vielleicht nicht unbedingt zusammen zu gehören schien – ihm war es Anliegen, Verbindungen sichtbar zu machen und jene, die offen waren für die Begeisterung der Zusammenhänge, mit Begeisterung auszustatten und ins Leben zu schicken. Beinahe wollte ich sagen „zu begleiten“, aber das ist so nicht wahr. Herwig Zens, der Lehrer, verlangte an dieser Bruchstelle Selbständigkeit und Selbsttätigkeit.

Die Einsicht, dass es überall einen Riss gibt, der nicht nur etwas bricht, sondern auch etwas ermöglicht, erscheint mir passend für Herwig Zens: Das Lernen muss Lernende fordern, nur so ermöglicht es neue Einsichten, Aufklärung ….

Für ‚sein‘ Unterrichtsfach, die Bildnerische Erziehung, eröffnete Herwig Zens Generationen von Schüler_innen in Wiener Gymnasien, die Lesbarkeit von Kunst und Kultur – mit einer beispiellosen Ernsthaftigkeit für das Fach, das die Zusammenhänge von Zeichen, Bildern, Geschichte und Geschichten vermittelte.

Seine Berufung auf den Lehrstuhl für Bildnerische Erziehung und Kunstwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien war die logische Konsequenz eines Brennens für das künstlerische Lehramt und dessen Stärkung und Verbreitung in der österreichischen Schullandschaft. Es war sein spürbares Bestreben und Bemühen, in den jungen Menschen das anzuzünden, wofür er selber brannte, das ihn selbst (um-)trieb.

Ich war eine der wenigen erstsemestrig Studierenden des Jahrgangs 1989/90, die Zens mit seinen Professorenkollegen (sic!) ausverhandelte, dass sie ihr Studium für Bildnerische Erziehung beginnen konnten. Zu dieser Zeit war es notwendig in eine der damaligen künstlerischen Meisterschulen aufgenommen zu werden. In den Heiligen Hallen der Akademie waren, so erklärte uns Zens eingangs, „Kunsterzieher (sic!)“ nur geduldet. Widerständig bestärkte Zens jene umso mehr, die ihre Wege in der Lehramtsausbildung sahen. Zens entwarf einen von Grund auf neuen Studienplan: weg vom Gedanken des (männlichen) Künstlergenies, hin zu einem breiten Angebot mit reichlich Fachdidaktik und Schulpraxis. Er beauftragte sogar gegen viel Widerstand innerhalb der Akademie Kunstgeschichtevorlesungen am Institut, die ihm als „brauchbar“ für die Schule und für einen maturablen Lehrplan geeignet schienen. Damit machte er sich nicht nur beliebt im Haus, zu raumgreifend waren die konsequenten Eingriffe, Veränderungen und Visionen für das Schulfach in der Berufsvorbildung zukünftiger Lehrer_innen.  Er verfasste zusammen mit seinem Kollegen Walter Stach das erste österreichische Schulbuch für Bildnerische Erziehung. Sein Credo in die damals so genannten ‚Neuen Medien‘ zu investieren, fand u. a. Niederschlag in der Herausgabe eines Medienkoffers (gemeinsam mit Herbert Link), der als Unterrichtsmittel für Fotografie, Film und Video die Wege des Faches weg vom „Zeichenunterricht“ hin zu jenem umfassenden Schulfach ebnete, das Bildnerische Erziehung heute ist.

Hochpolitisch war sein Tun – innerhalb der Akademie sowieso, aber darüber hinaus auch bildungspolitisch – und der streitbare Zens’sche Ton bleibt legendär im Gedächtnis.

So war es  für mich als seine damals einzige fixe Mitarbeiterin in dem Institut, das die AHS-Lehrer_innen für die Sekundarstufe I und II im Unterrichtsfach Bildnerische Erziehung ausbildete, eine Herausforderung Schritt zu halten: Zens, der unermüdlich und beispiellos zwischen der Akademie und seinem künstlerischen Schaffen, gleichsam onmipräsent in beidem hin und hereilte, alle Hauptvorlesungen selber hielt und sich mit internationalen Ausstellungen und Projekten einen Namen machte.

Neben seinen Reisen unternahm er mindestens zwei große Exkursionen pro Studienjahr mit den Studierenden. Exkursionen als Lehrmittel, wie er selber gerne sagte, waren dem pädagogischen Praktiker Zens ein adäquates Unterrichtsmedium um Studierende fern ihrer gewohnten Umgebung kunst- und kulturrelevante Erlebnisse aufzuschließen.

Die Zens’sche Perspektive war zielgerichtet: Es ging ihm darum, die Ressourcen im Sinne der Lehrer_innenbildung auszubauen, mehr für seine Studierenden zu erreichen, um sie optimal vorbereitet für „die Lieblinge in der 2C“ in das Arbeitsleben an Schulen zu entlassen. Es war ihm immer wichtig, dass ich als seine Mitarbeiterin die Schule aus der Praxis kannte – und so prägte neben meiner umfassenden Tätigkeit am Institut auch 25 Jahre lang ein Tag in der Schule mein Arbeitsleben. Für den Anstoß zu diesen wertvollen Erfahrungen bin ich ihm – neben vielem anderen – dankbar.

There’s a crack in everything – that’s how the light gets in… Es waren gerade Bruchstellen, die Herwig Zens zu orten und als Schlaglichter für das Fach zu nutzen wusste. Sein bildungspolitisches Engagement hat das Lehramt an der Akademie und damit das Fach an Schulen in Österreich nachhaltig neu ausgerichtet. Der Bereitschaft zu solchen Anstrengungen bedarf es auch gegenwärtig, um gegen die Kürzung von künstlerisch-gestalterischen Fächern an Schulen anzukämpfen. Die Akademie der bildenden Künste Wien ist gut beraten, den Zens’schen Einsatz für Lehrer_innenbildung und Schule fortzusetzen. Adieu, Herwig Zens.

 

(Quelle: https://www.akbild.ac.at/Portal/organisation/uber-uns/news/die-akademie-trauert-um-herwig-zens)